Eigentlich ist sie keine Säule, die Wirbelsäule, sondern eine Lebensgemeinschaft mit einzelnen Individuen, die sowohl Gemeinsamkeiten wie auch viele anatomische Unterschiede aufweist. Nicht einmal die Anzahl der Wirbel einer Wirbelsäule ist klar definiert. Wir sprechen zwar von 7 Halswirbeln, 12 Brustwirbeln und 5 Lendenwirbeln. Tatsächlich ist auch das Kreuzbein eine Struktur, die aus zusammengeschmolzenen Wirbeln entstanden ist. Das anschliessende Steissbein umfasst eine variable Anzahl von Wirbeln, meistens 3 bis 5. Einige Menschen sind sogar die stolzen Besitzer von 6 anstelle von 5 Lendenwirbeln. Und in meiner craniosacralen Ausbildung habe ich gelernt, dass selbst der Schädel sich aus Wirbelanlagen entwickelt hat.
Was berühren wir an der Oberfläche?
Meistens gut ertastbar sind die Dornfortsätze der Wirbelsäule, wenn unsere Klientin auf dem Rücken liegt. Aber selbst das kann je nach Körperbau und Zustand des Gewebes nicht einfach sein. Manchmal fühlt sich der Rücken wie ein Panzer an, wie ein zu eng angelegtes Taucherkostüm. Dann hilft es, schon zu Beginn der Massage mit flachen Fingern und sanftem Druck die Dornfortsätze quer zur Wirbelsäule zu ertasten. Mit viel Präsenz und Achtsamkeit ausgeführt, wird unsere Klientin auf dem Tisch das Erfühlen als wohltuender Teil der Massage wahrnehmen.
Formbare Anatomie
Tauchen wir tiefer in die Anatomie der Wirbel ein, so wird die Komplexität rasch ersichtlich. Zwar gibt es da einen schematischen Grundaufbau eines Wirbels, aber jeder einzelne unterscheidet sich vom nächsten. Formkräfte wirken zeitlebens auf die Knochenstrukturen ein - je nach Druck und Zug ändern sich Strukturen und passen sich an. Querfortsätze können auf der einen Seite kräftiger ausgebildet werden, Wirbelverbindungen können verknöchern, Bandscheiben verändern ihre Konsistenz. Unsere Bewegungsgewohnheit und unser Alter spiegelt sich in unseren Wirbeln wider.
Was berühren wir wirklich?
Was berühren wir eigentlich, wenn wir die Wirbelsäule berühren? Sanft an den Dornfortsätzen fassen oder unsere Finger rechts und links schaukeln lassen? Ich denke dabei spontan an die Kraft der Verbindung. An die unzähligen Nervenbahnen, die über das Rückenmark und die Spinalnerven das Aussen mit dem Innen verbinden. An die cerebrospinale Flüssigkeit, die sich fein zwischen den Rückenmarkshäuten und der knöchernen Umhüllung bewegt und sich irgendwo verflüchtigt und neu bildet. An starke und feine elastische Bänder, die einzelne Wirbel und ganze Segmente miteinander verbinden. An Bandscheiben, die aufgrund ihrer gelartigen Konsistenz unseren Bewegungsradius freudig erweitern. An die grossen Blutgefässe der Aorta und der Vena cava, die sich körpermittig an die Wirbelsäule anschmiegen und sich an ihr orientieren. All das berühren wir und bestimmt noch viel mehr.
Wirbelsäule schaukeln - eine Mobilisationstechnik
Ingrid May hat uns an der letzten Esalen Massage Weiterbildung eine wunderbare Technik gezeigt, mit der sich die Wirbelsäule fein mobilisieren lässt:
Autorin: Lili Imboden.