Die Innenseite des Oberschenkels ist ein Bereich, den wir selten in eine Massage einbeziehen. Dies hat nicht nur anatomische, sondern auch emotionale Gründe: Diese Region fühlt sich verletzlich und intim an. Dabei spielt sie für Stabilität und Bewegung eine zentrale Rolle. Denn hier verbirgt sich ein faszinierendes myofasziales Netzwerk mit Gefässen und Nerven, das unsere Verbindung zur Mitte hin nährt und stärkt.
Die Anatomie der Oberschenkel-Innenseite: Die Adduktoren
Das Relief der Oberschenkel-Innenseite wird durch die Adduktoren-Muskelgruppe bestimmt. Unter Adduktion verstehen wir die Bewegung einer Extremität zur Körpermitte hin. Diese Muskelgruppe besteht aus sechs verschiedenen Muskeln, die wie ein langer, schlanker Fächer das Schambein und das Sitzbein mit dem Oberschenkelknochen verbinden:
Pectineus
Adductor longus
Adductor brevis
Adductor magnus
Adductor minimus
Gracilis
Funktion der Adduktoren
Die Adduktoren stabilisieren das Becken, ermöglichen eine Beckenaufrichtung und sorgen für einen fliessenden Bewegungsablauf zwischen Becken und Oberschenkel. Bei jedem Schritt helfen sie, das Becken zu zentrieren und ein Gleichgewicht zu schaffen. Besonders bei Bewegungsarten wie Langlaufen, Eisschuhlaufen oder bei seitlichen Bewegungen ziehen sie das Bein wieder zur Mitte des Körpers hin.
Ein ganzheitlicher Blick auf die Anatomie der Adduktoren zeigt eine weitere Besonderheit: den Verlauf wichtiger Blutgefäße und Nerven entlang der Innenseite des Oberschenkels.
Das pulsierende Herz des Beines: ein Nerven-Gefässbündel an der Innenseite
In der Leistengegend wandern Nervenäste und die beiden grossen Oberschenkelgefässe der Arteria femoralis und Vena femoralis an der Vorderseite der Adduktorengruppe entlang nach unten. Der Adductor magnus teilt sich im unteren Drittel in eine bogenförmige Aussparung und macht so Platz für den weiteren Verlauf des Nerven-Gefässbündels, das zur Rückseite des Beines in die Kniekehle führt. Diese grossen pulsierenden Lebensflüsse teilen sich in ihrem Verlauf in viele kleinere Äste auf und sorgen so zusammen mit den Lymphbahnen für Zu- und Ablauf von Blut, Gewebsflüssigkeiten und Nervenimpulsen zur Körpermitte hin und von ihr weg. Die Nerven-Gefässbündel werden zudem mit Bindegewebsschichten, die aus der Fascia lata hervorgehen, umhüllt.
Das verbindende Element: die Fascia lata
Anatomisch wird die tiefe Faszie des Beines je nach Lokalisation unterschiedlich bezeichnet. Am Oberschenkel trägt sie den Namen Fascia lata, am Unterschenkel Fascia crura und an der Unterseite des Fusses sprechen wir von der Fascia plantaris.
Diese Namensbezeichnungen sind rein topografisch, denn die tiefe Faszie kennt keinen Anfang und kein Ende und verläuft kontinuierlich.
Wir können uns diese tiefe Schicht auch als Stützstrumpf vorstellen, der unterhalb der Haut und der oberflächlichen Faszie das Bein umhüllt und die Muskeln zusammenhält. In dieser stützenden Funktion weist sie unterschiedliche Dichten auf. Die mittlere Dicke dieser kräftigen Bindegewebsschicht beträgt 1 mm. Im Bereich der Adduktoren wird sie dünner. An der Aussenseite des Oberschenkels verdickt sie sich zum Iliotibialband, wo sie Muskelfasern des Tensor fasciae latae und oberflächliche Anteile des Gluteus maximus aufnimmt und an den Unterschenkel weiterleitet. Hier dient sie als Zuggurtung und Stabilisierung des Beines.
Intermuskuläre Septen: Verbindung zum Knochen und Kompartimente
Ein spannendes anatomisches Detail sind die intermuskulären Septen. Diese Bindegewebsmembranen zweigen von der Fascia lata ab und verbinden sich mit der Knochenhaut des Oberschenkelknochens. Sie teilen zudem die Muskeln in verschiedene Kompartimente ein.
Wenn wir in der Massage rund um den Oberschenkel mit Druck und Zug arbeiten, sind wir indirekt mit dem Femur in Verbindung.
Achtsames Erforschen der eigenen Anatomie:
Drei Übungen
1. Muskeln erspüren:
Die beiden oberflächlichen Muskeln der Adduktorengruppe (Pectineus und Adductor longus) kannst du an dir selbst gut ertasten, wenn du in einer sitzenden Position deine Finger seitlich des Schambeins entlang flach auflegst und dann das eine Bein über das andere schlägst. Kabelartige starke Sehnen springen dann förmlich in deine Finger hinein und die Ursprünge und Verläufe der Muskelstränge lassen sich in Bewegung erforschen.
Alternativ kannst du auch auf dem Rücken liegen, ein Bein austellen und das andere Bein zur Decke hin strecken. Lege deine Finger auf der Innenseite des gestreckten Beines und führe dies leicht seitlich Richtung Boden. Die Adduktoren stabilisieren das Bein und spannen sich an.
2. Die tiefe Faszie des Oberschenkels erspüren:
Sitzend auf dem Boden oder auf einem Stuhl: lege deine Hände um deinen Oberschenkel. Verschiebe nun mit leichtem Druck sanft die Haut mit der oberflächlichen Faszie in verschiedene Richtung.
Dann experimentiere mit etwas tieferem Druck bis du auf eine trampolinartige, etwas zähere Schicht triffst, der Fascia lata. Im seitlichen Bereich kannst du deine Finger aufstellen und zwischen den Muskelschichten des Vastus lateralis und der ischiokruralen Muskulatur Richtung Knochen sinken. Hier trennt das laterale intermuskuläre Septum die rückseitige Beinmuskulatur vom Quadratus femoris.
3. Pulsierende Verbindung wahrnehmen:
In Rückenlage, Beine ausgestreckt (evt. mit Kniepolster): ertaste mit deinen Fingerkuppen den Puls in deiner rechten und linken Leistengegend. Sobald du ihn klar und deutlich spürst, lass die Finger ruhen und schenke dir eine Pause im Rhythmus deines Herzens und deiner Atmung. Wie fühlt sich die Bein-Bauchverbindung an?
Massage Oberschenkel-Innenseite: eine Zusammenfassung
Weg vom Muskel Lernen hin zur ganzheitlichen Anatomie und Selbsterforschung
Nimm dein Anatomie-Wissen und deine Anatomie-Neugierde mit an den Massagetisch, wenn du Spannungen und Verdichtungen erspürst. Welche Blut-Nervenbündel verlaufen in diesem Gebiet, welche myofaszialen Verbindungen sind bekannt?
Denke 3-dimensional in der Langen Streichbewegung der Esalen Massage
Haut, oberflächliche und tiefe Faszie umhüllen den Körper 3-dimensional. Arbeite flächig, mit grossen Händen, weichen Armunterseiten langsam rund um den Oberschenkel.
Behandle die Innenseite des Oberschenkels mit viel Respekt und mit Leichtigkeit
Achte darauf, dass sich die Klientin zu jedem Zeitpunkt der Massage sicher und gut bedeckt fühlt. Wenn wir an dem nach aussen gekippten Oberschenkel arbeiten, kann der Intimbereich zusätzlich mit einem schweren Tuch abgedeckt werden. Streichbewegungen entlang der Adduktoren gehen im oberen Drittel spiralförmig nach aussen Richtung Hüfaussenseite.
Massagetechniken der Adduktoren in der Esalen Massage: Austauschtag 19.01.2025
Ein wichtiger Aspekt der Esalen Massage ist die ganzheitliche Behandlung mit den Langen Streichbewegungen und das dreidimensionale Arbeiten an Körperstrukturen. Gerade im Bereich des Oberschenkels werden diese Prinzipien deutlich spür- und erfahrbar. Wenn wir an der Aussenseite des Oberschenkels grosse Spannungen wahrnehmen, die Klientin zusätzlich über Knie- oder Rückenbeschwerden klagt, dann lohnt es sich, auch die Innenseite der Oberschenkel mit viel Respekt und Leichtigkeit zu behandeln. An unserem Esalen Austauschwochenende werden wir am Sonntag dieses Thema im Fokus stellen.
Lymph meets Esalen: am 18.01.2025
Ein weiteres faszinierendes Thema, das oft übersehen wird, ist das Lymphsystem. Gerade die Lymphflüssigkeit zeigt eine besondere Resonanz auf die langen Streichungen der Esalen Massage. Sie bewegt sich sanft durch den gesamten Körper mit seinen unendlich vielen Zwischenzellräumen und fliesst überall dorthin, wo der Raum für die Blutkörperchen zu klein ist. Ich freue mich besonders, dass uns an unserem gemeinsamen Wochenende Nadja Stotz, Physiotherapeutin, mit einfachen Techniken zur Lymphbehandlung bereichert – eine wunderbare Inspiration für unsere Massagepraxis.
Alle Infos zu unseren beiden Austauschtagen am 18. und 19. Januar in Langenthal:
www.esalenmassageschweiz.ch/austauschtage-esalen-massage-januar-2025