Wir möchten Menschen in der Ganzheit berühren, wenn wir massieren. Und damit wir die Ganzheit besser verstehen, ist es für uns als Esalen Massage Practitioner wertvoll, sich mit den einzelnen Teilen zu beschäftigen, also auch mit der Anatomie des Körpers.
Was mich jetzt schon eine Weile begleitet und begeistert, das ist die Welt der Faszien. Andreas Klingebiel ist Physiotherapeut mit Praxis in Bern und Begründer des fmfi-Konzepts (funktionelle myofasziale Integration). Letztes Jahr habe ich seine Kurse in Bern besucht und war begeistert von der Tiefe seines Wissens.
Es freut mich, dass sich Andreas mit mir über Faszien unterhaltet hat. In einem ersten Teil haben wir die Faszien in einen Kreis gesetzt, als wären sie Kursteilnehmer. Wir haben die oberflächliche Faszie gebeten, sich vorzustellen, mit Andreas als Übersetzer.
Die ungekürzte Audio-Version unserer ersten Unterhaltung mit vielen Zusatzinformationen zu den verschiedenen Faszienschichten findet ihr hier:
Ich bin deine zarte Hülle
«Ich bin ein ganz zartes Gewebe, das sich sehr schön verschieben lässt. Ich liege direkt unter der Haut und bin eng mit ihr verbunden. Stell dir vor, ich bin wie ein Ganzkörperanzug, der direkt unter der Haut sitzt und deinen ganzen Körper umhüllt und umschließt. Ich verbinde die Haut mit den darunterliegenden Schichten und enthalte viele Fasern mit multidirektionaler Ausrichtung. Das bedeutet, ich kann mich in verschiedene Richtungen verschieben und passe mich dynamisch an deine Bewegungen an. Dadurch stelle ich sicher, dass die Schichten deines Körpers reibungslos zusammenarbeiten, wenn du dich bewegst.
Chaos ist meine Essenz in Harmonie
Manchmal wird mir nachgesagt, ich sei unorganisiert – doch genau diese Eigenschaft ist essenziell für meine Funktion. Meine mehrdirektionale Faserausrichtung ermöglicht es der Haut mit mir zusammen gegen die darunterliegenden, festeren Schichten zu gleiten. Das ist entscheidend, damit dein Körper flexibel bleibt und deine Bewegungen harmonisch ablaufen können.
In mir befinden sich Fettzellen, die ein integraler Bestandteil meiner Struktur sind. Sie werden oft negativ betrachtet, doch sie sind für mich unverzichtbar und spielen eine wichtige Rolle, denn sie wirken als endokrines System.
Ich gebe Dir Form, Halt und Schutz
Ich bin form- und haltgebend. Wenn man mich wegnehmen oder mit der Haut zusammen wegziehen würde, würde der Körper seine Form und seinen Halt verlieren.
Gleichzeitig funktioniere ich als Schutzschicht für die tiefer liegenden Faszien, sowohl physikalisch als auch chemisch. Wenn ein Schlag auf die Haut trifft, kann ich ein wenig abfedern. Und ich bin auch deine Isolationsschicht und spiele eine wichtige Rolle in der Thermoregulation.
Fluss ist meine Natur
Ich bin sehr gut durchblutet. Alle, die sich schon einmal an der obersten Hautschicht aufgeschürft oder geschnitten haben, wissen, wie schnell es bluten kann und wie empfindlich diese Schicht ist.
Ich bin auch mit den Lymphgefäßen versorgt. Die ganzen zarten, feinen Lymphgefäße sind in mir enthalten, und ich bin eng mit dem Flüssigkeitssystem, dem Lymphsystem, verbunden.
Flüstere mit mir!
Ich bin eine sehr sensitive Schicht und stark innerviert. Gil Hedley, ein amerikanischer Anatom, bezeichnet mich auch als «Wedding Suit», als Hochzeitskleid, da ich etwas Verschönerndes an mir habe und dir einen Teil deiner Identität gebe.
Gil sagt auch, wenn man mit mir arbeitet will, so brauche ich ein Flüstern, eine zarte und intime Kommunikation.
Ich liebe Long Strokes in alle Richtungen
Ich habe es sehr gerne, wenn man mich in verschiedene Richtungen verschiebt. Es darf ruhig ein bisschen Druck dabei sein, aber nicht zu viel, vor allem nicht zu schnell. Wichtig ist, dass man wirklich in mich einsinkt, also unter die Haut geht, mich zart, aber doch bestimmt berührt und dann in verschiedene Richtungen verschiebt. Auch großflächige Streichungen mag ich sehr.»
Am Unterarm kannst du mich besonders gut erstasten. «
Fühle deine oberflächliche Faszie
Lege deine Hand ganz leicht auf deinen Unterarm. Spürst du unter deiner Haut eine leicht schwammige, puddingartige Schicht? Das ist die oberflächliche Faszie. Dann kannst du die Haut verschieben und spürst, wie sich die Haut zusammen mit der oberflächlichen Faszie gegenüber den tiefen liegenden Schichten in verschiedene Richtungen verschieben lässt.
Wenn du das an deiner Handinnenfläche machst, lässt sich die Haut nur ganz wenig verschieben. Stell dir vor, wenn sich die Haut an der Handinnenfläche genauso stark verschieben ließe wie am Unterarm, wäre das ein ganz anderes Gefühl bei der Massage.
Danke, Andreas und oberflächliche Faszie, für das Gespräch!
Im nächsten Teil überlassen wir der tiefen Faszie das Wort – die hat auch viel von sich zu erzählen!
Andreas unterrichtet in Bern und am Kientalerhof: www.fmfi.ch/das-fmfi-konzept/